Auszug aus: Soldatenfrauen weinen nicht

Emma stand am Bahnhof und hielt verzweifelt Wolfis Hände, der seine Arme aus dem Zugfenster hielt und ihre blassen, kalten Finger fest drückte.
„Kauf dir schon mal das Brautkleid mein Liebling, wenn ich wieder Zuhause bin, hast du keine Zeit mehr dazu. Dann geht’s sofort zum Standesamt!“ Wolfi zwinkerte ihr bei diesen Worten aufmunternd zu. „Ich habe solche Angst“, schluchzte Emma, „schreib mir jeden Tag - bitte“. Emma rang um Fassung.
„Emma mein Liebling, schau mich an, sieh mir in die Augen.
Du darfst nicht weinen mein Schatz, Soldatenfrauen weinen nicht!“

Das waren seine letzten Worte an Emma als der Zug sich Stück für Stück entfernte. Emma fühlte sich als hätte man ihr das Herz aus der Brust gerissen.
Doch Emma vergaß Wolfis Worte nicht, sie war eine tapfere Soldatenbraut. Während Wolfi täglich einen Brief an sie schrieb, bestickte die junge Braut die Bettwäsche mit ihren Monogrammen, sparte sich ihr Geschirr zusammen und ging mit Wolfis Mutter Stoff für ihr Brautkleid kaufen.
Als Emmas Kleid fertig genäht war, stand Wolfis Mutter neben ihrer Mutter und weinte vor Stolz: “Mein Kind, du weißt überhaupt nicht wie glücklich es mich macht, dass ich eine so hübsche, fleißige Schwiegertochter bekomme. Du siehst aus wie eine Prinzessin!“ Emma drehte sich vor dem großen Spiegel hin und her während sie sich voller Glück vor stellte was Wolfi wohl sagen würde wenn er sie in diesem Kleid sehen könnte. „Ach was“, schalt sie sich selbst, „sprachlos würde er sein, sprachlos vor Glück. Dann wird er mich über die Schwelle tragen und Nichts und Niemand kann uns mehr trennen“.

Die Zeit verrann und der Tag der Hochzeit rückte immer näher. Zwei Wochen noch, dann würde sie Wolfis Frau sein. Wie Emma es jeden Tag zu ihrem Ritual gemacht hatte, ging sie zu ihrem Kleiderschrank, öffnete ihn und streichelte andächtig ihr Brautkleid. „Bald“ dachte sie „bald ist es soweit“.
Da klingelte es an der Haustür und Emma wurde aus ihren Tagträumen gerissen. Munter sprang sie die Treppenstufen hinunter und riss die Haustür auf. Vor ihr stand ein ihr unbekannter Marineoffizier mit einem Brief in der Hand.
„Sind Sie Emma?“ fragte er. „Ja?“ antwortete Emma. „Ich habe schon so viel von ihnen gehört, Emma. Ich bin ein Freund von Wolfgang. Wir sind zusammen zur See gefahren“. „Wolfgang?“ strahlte Emma doch der fremde Mann fuhr unbeirrt fort. „Deshalb bin ich hier. Ich habe eine traurige Nachricht für Sie...“ Als der Offizier Emma den Brief entgegen streckte und Emma in sein Gesicht sah, zerbrach in ihr eine Welt. Schon bevor sie den Brief öffnete wusste sie es. Er würde nicht mehr zu ihr nach Hause kommen. Er war tot, Wolfi war tot. Ihr Wolfgang würde nie mehr wieder zu ihr zurückkommen. Emma sank in sich zusammen auf den Boden und starrte tränenblind auf das Kuvert in ihrer Hand.
Nie mehr würde er sie in seine starken Arme nehmen können, nie mehr würde sie seine klaren Augen sehen. Ihr Bräutigam war mit seinem Schiff untergegangen und lag nun auf dem Grunde des Ozeans, im kalten, weiten Meer. Emma liefen die Tränen über die blassen Wangen, doch sie bemerkte es nicht mehr. Sie war erstarrt in ihrer Trauer, sie nahm nichts mehr, von dem, was um sie herum geschah wahr.
Doch plötzlich schien es ihr, als würde sie eine Stimme hören. Wolfis Stimme die aus ihrem Herzen zu ihr drang. Seine Stimme, die zärtlich zu ihr sagte:
“Soldatenfrauen weinen nicht“.

Die Zeit verrann. Trotz allem hatte Emma keine Zeit zu trauern. Der Krieg forderte einen höheren Preis als nur die Toten. Hunger, Durst, Kälte und Angst machte den Menschen zu schaffen und es galt zusammen zu halten wo es nur geht. Zum Trauern war in dieser Zeit kaum Platz. Nur wenn Emma Abends todmüde auf ihr hartes Bett fiel, sah sie ihren Wolfgang vor Augen. Er lächelte ihr zu, nahm sie in seine schützenden Arme und Emma träumte von einer Hochzeit, die niemals stattfinden würde.

Es war in einer ganz bestimmten Freitagnacht, da sollte Emma keine Zeit mehr zum Träumen bleiben.